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Neues aus dem Verkehrsrecht

Chaos um StVO: Welcher Bußgeldkatalog gilt?

Formalien haben ihre Gräuel, erweisen sich aber auch als günstig. Autofahrer profitieren derzeit davon, dass sich der Bußgeldkatalog, der am 28. April 2020 in Kraft getreten war, wegen eines schlichten Formfehlers als nichtig erwiesen hat. Als ob dem noch nicht genug wäre. Wegen der gleichen Formfrage steht jetzt auch noch zur Debatte, ob Änderungen der Straßenverkehrsordnung von 2009 und 2013 ebenfalls genau den gleichen Formfehler enthalten und deshalb nichtig sein könnten. Als Autofahrer müssen Sie sich jetzt die Frage stellen: Welcher Bußgeldkatalog gilt eigentlich aktuell?

Was ist der Stein des Anstoßes?

Die zur Debatte stehenden Verordnungen, mit denen die Straßenverkehrsordnung geändert werden sollte, missachten das verfassungsrechtlich gebotene Zitiergebot. Will der Gesetzgeber eine Verordnung erlassen, verpflichten Art. 80 Grundgesetz (GG) und speziell § 26a Straßenverkehrsgesetz (StVG) den Gesetzgeber, die Rechtsgrundlage in der Verordnung anzugeben. Genau daran fehlt es in den Verordnungen zur Änderung der Straßenverkehrsordnung. Das Justizministerium Baden-Württemberg hat die Landes- und Bundesverkehrsministeriums darauf aufmerksam gemacht, dass wegen dieses Formfehlers auch die Änderungen der Straßenverkehrsordnung von 2009 und 2013 Zitierfehler enthalten und deshalb nichtig sein könnten.

Warum ist nach wie vor alles im Dunkeln?

Eigentlich wäre es für den Gesetzgeber ein leichtes, einen Formfehler zu bereinigen. Genau darum geht es. Der Bundesrat, der über einen Kompromiss zur Änderung der aktuellen Straßenverkehrsordnung entscheiden muss, hatte am 18. September 2020 keine Entscheidung treffen können, weil die Partei der Grünen sich weigerte, einer Kompromisslösung zuzustimmen. Maßgeblich ging es dabei um die in der Novelle vom April 2020 vorgesehenen strengeren Geschwindigkeitsbegrenzungen und die damit verbundenen Fahrverbote für Autofahrer. Da eine Einigung nicht zustande kam, ist nach wie vor offen, in welcher Fassung die Straßenverkehrsordnung aktuell gültig ist.

Die Regierungsparteien hatten immerhin einen Kompromiss vorgeschlagen. Danach sollten Fahrverbote erst bei Geschwindigkeitsübertretungen von mehr als 21 km/h innerorts und 26 km/h außerorts bei einmaligen Verstößen verhängt werden, wenn sie in besonders sensiblen Bereichen wie vor Kindergärten oder in Baustellen erfolgten. Im Übrigen sollte eine Warnschussregelung gelten, nach der das Fahrverbot erst bei der zweiten Ordnungswidrigkeit verhängt werden sollte. Dieser Kompromissvorschlag fand im Bundesrat wegen der Weigerung der Grünen keine Mehrheit.

Wie wirkt sich die Debatte konkret aus?

Die Novelle der Straßenverkehrsordnung von April 2020 hatte mithin zum Inhalt, dass Sie als Autofahrer mit einem einmonatigen Fahrverbot rechnen mussten, wenn Sie innerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h zu schnell fuhren. Vorher brauchten Sie erst mit einem Fahrverbot zu rechnen, wenn Sie 26 km/h zu schnell waren und zum zweiten Mal geblitzt wurden. Aufgrund der Neuregelung wurden bereits im April und Mai 100.000 Fahrverbote verhängt.

Es war schnell offensichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung die Lebenswirklichkeit ziemlich ausgeblendet hatte und über das Ziel hinaus geschossen war. Der gesetzlich vorgegebene Grundsatz der Verhältnismäßigkeit war ganz klar beeinträchtigt. CDU, SPD und FDP wollten die Verschärfungen auf ein vernünftiges Maß zurückführen, während die Grünen lediglich den Formfehler ausbessern wollten. Derzeit ist nicht absehbar, wann und inwieweit eine politische Einigung möglich erscheint.

Sollten auch die Änderungen der Straßenverkehrsordnung von 2009 und 2013 sich als nichtig erweisen, wäre beispielsweise die Punktereform in Flensburg ungültig. Sie dürfen dann wieder 18 statt der aktuellen acht Punkte einsammeln, bevor Sie den Führerschein abgeben müssen. Sie dürften auch wieder nach Ihrem Handy greifen. Zwar dürften Sie nicht telefonieren, allerdings müsste die Polizei nachweisen, dass Sie telefoniert haben. Nach den Neuregelungen reicht es, wenn Sie Ihr Handy in der Hand halten. Auch die Winterreifenpflicht stünde zur Debatte. Solange Ihre Sommerreifen ein ausreichend tiefes Profil haben, wären Sie nicht verpflichtet, bei winterlichen Straßenverhältnissen Winterreifen aufzuziehen.

Welcher Bußgeldkatalog gilt denn jetzt?

Die Frage, welcher Bußgeldkatalog aktuell gilt, ist eigentlich nicht zuverlässig und abschließend zu beantworten. Wenn sich die Politiker nicht einig sind, wer sollte dann die Antwort geben? Letztlich werden die Gerichte sich damit auseinandersetzen müssen, ob und inwieweit die Formfehler Auswirkungen haben.

Wenn man berücksichtigt, dass die Änderungen der Straßenverkehrsordnung von 2009 und 2013 viele Jahre zurückliegen und sich bislang niemand über die eventuell bestehenden Formfehler aufgeregt hat, sollten Sie davon ausgehen, dass derzeit die Straßenverkehrsordnung in der Fassung maßgebend ist, die vor der Novelle am 28. April 2020 Bestand hatte. Zumindest ist es so, dass die Novelle vom 28. April 2020 derzeit keine Konsequenzen nach sich zieht. Bußgelder, die nach dem neuen Bußgeldkatalog verhängt wurden, werden teilweise erstattet. Führerscheine, die aufgrund widerrechtlicher Fahrverbote eingezogen wurden, werden zurückgegeben.

Was sollten Sie tun?

Erhalten Sie einen Bußgeldbescheid, haben Sie die Möglichkeit, innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Erhalt des Bußgeldbescheides Einspruch einzulegen. Geht es allein darum, die Frist für den Einspruch zu wahren, brauchen Sie Ihren Einspruch nicht unbedingt zu begründen. Idealerweise beauftragen Sie eine Rechtsanwältin bzw. einen Rechtsanwalt, den Einspruch zu formulieren. Sie bzw. er wird zugleich die Bußgeldakte bei der Bußgeldbehörde anfordern. Je nachdem, was sich inhaltlich aus der Bußgeldakte ergibt, wird sie bzw. er dann Ihren Einspruch gegen den Bußgeldbescheid formulieren und begründen. Keinesfalls sollten Sie einen Einspruch einlegen und nach eigenem Gutdünken begründen, warum Sie den Bußgeldbescheid für unwirksam halten. Ihre Chancen, dass Ihr selbst begründeter Einspruch anerkannt wird, sind denkbar gering.

Alles in allem

Autofahren ist an sich einfach. Kompliziert wird es dadurch, dass an jeder Ecke Gebots- und Verbotsschilder stehen und man manchmal angesichts des Schilderwaldes nicht mehr weiß, welche Verkehrsregelung aktuell wirklich gültig ist. Natürlich geht es im Straßenverkehr angesichts des Verkehrsaufkommens und der von Kraftfahrzeugen ausgehenden Gefahren nicht ohne Gebote und Verbote. Wenn, dann müssen Gebote und Verbote aber so präsentiert und formuliert werden, dass der Autofahrer sie nachvollziehen und nach eigener Überzeugung umsetzen kann. Wenn es nur darum geht, den Autofahrer zu belehren und nach eigener Einschätzung vielleicht zu schikanieren, gehen Gebote und Verbote an der Lebenswirklichkeit vorbei. Die aktuelle Situation zeigt, dass unverhältnismäßige Gebote und Verbote ins Leere laufen und nur Chaos verursachen.

 

 

Artikel-Informationen

Autor iurFRIEND®-Redaktion vgwort-pixel

Datum 22. September 2020

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